Zusammenfassung ENFOPOL: Innerhalb der Europäischen Union ist seit etwa einem Jahr ein Diskussionsprozeß zu den Anforderungen der Mitgliedsstaaten an die Überwachung des Fernmeldeverkehrs anhängig. Unter dem Titel "ENFOPOL" ist der dazu vorliegende Entwurf einer Entschließung des Rates der Europäischen Union auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Das "ENFOPOL"-Papier fordert die Mitgliedsstaaten auf, innerhalb der nationalen Rechtsordnungen die Voraussetzungen zu schaffen, um die Überwachung des Fernmeldeverkehrs dem durch die technische Entwicklung der vergangenen Jahre vollzogenen Wandel, insbesondere den durch die digitale Kommunikation erweiterten Möglichkeiten des Umfangs der Überwachung anzupassen. Wegen des von ENFOPOL erstmals zusammengefaßt dargestellten Umfanges der möglichen Überwachung sind in Europa zahlreiche Stimmen des Protests laut geworden; Warnungen vor dem "Überwachungsstaat" und Protest gegen den Zugriff des Staates auf Telekommunikationsdaten auch unbeteiligter Bürger wurden erhoben. Im Auftrag des Forums Mobilkommunikation haben Herr Univ.Prof. DDr. Heinz Mayer und RA Mag. Michael Pilz ein Gutachten verfaßt, in welchem sie die verfassungsrechtlichen und strafprozessualen Aspekte des Konzeptes "ENFOPOL" beleuchten. Seitens der Auftraggeber, der Interessensgemeinschaft der österreichischen Mobilfunknetzbetreiber, wurden die Gutachter insbesondere gefragt, ob die Umsetzung der im "ENFOPOL-Konzept" vorgesehenen Überwachungsszenarien mit dem geltenden nationalen Recht vereinbar sei, wie weit die Pflichten der Betreiber von Mobilfunknetzen gingen, an derartigen Überwachungsmaßnahmen mitzuwirken und welche rechtspolitischen Folgerungen aus den geplanten Maßnahmen abzuleiten seien. Das nun vorliegende Gutachten gliedert sich in zwei wesentliche Teilbereiche: Zuerst werden telekommunikationsrechtliche und strafprozessuale Fragestellungen behandelt und die Vereinbarkeit der in ENFOPOL vorgesehenen Maßnahmen mit dem geltenden nationalen recht geprüft. Im zweiten Teil werden die verfassungsrechtlichen Aspekte berücksichtigt und überprüft, ob ENFOPOL und die im österreichischen Telekommunikationsrecht vorgesehenen Mitwirkungspflichten des Telefonnetzbetreibers mit den in der österreichischen Verfassung gewährleisteten Grundrechten vereinbar sind. Die Gutachtensergebnisse: ENFOPOL definiert technische Anforderungen an die Überwachung des Fernmeldeverkehrs. Es geht dabei davon aus, daß einzelne Überwachungsmaßnahmen stets nur mit Zustimmung der national hiezu berufenen Behörden stattfinden. Wenn eine Überwachung des Telekommunikationsverkehrs (zulässigerweise) stattfindet, so sollen durch die Umsetzung der in ENFOPOL beschriebenen Anforderungen die überwachenden Behörden in die Lage versetzt werden, alle bei der überwachten Kommunikation anfallenden Daten, seien es nun Gesprächs- oder Inhaltsdaten im engeren Sinne, oder aber auch Vermittlungsdaten (z.B. passive Teilnehmernummern, Standorte der beteiligten Anschlüsse, Art der verwendeten Geräte, etc.) und Stammdaten (Inhaber der Anschlüsse, Adressen, Art der benutzten Dienste) in Echtzeit und On-line den Ermittlungsbehörden zur Verfügung stehen. Diese Daten geben den Ermittlungsbehörden sodann nicht nur Informationen über den überwachten Anschluß, sondern auch detaillierte Kenntnis über all jene Personen, die diesen Anschluß aktiv oder passiv im Überwachungszeitraum benutzt haben. Dabei ist es auch unwesentlich, ob es sich um Gesprächs- oder Datenverkehr gehandelt hat. Die Betreiber werden verpflichtet, den Behörden all jene Informationen zu geben, um Verschlüsselungssysteme, die von den Dienstebetreibern zur Wahrung der Vertraulichkeit der Gespräche eingesetzt werden, entschlüsseln zu können. Nach nationalem Recht ist der Schutz des Fernmeldegeheimnisses grundrechtlich abgesichert und die Überwachung des Fernmeldeverkehrs nur im Rahmen der Gesetze und auf Grund eines richterlichen Befehles zulässig. Die Strafprozeßordnung sieht die Überwachung des Fernmeldeverkehrs in bestimmten Fällen im Rahmen gerichtlicher Voruntersuchungen vor. Eine Überwachung ist dabei nur dann zulässig, wenn der Inhaber der überwachten Anlage der Überwachung zustimmt, oder die Überwachung der Aufklärung einer mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten, vorsätzlich begangenen Straftat dienen soll. Der Überwachungsbeschluß ist von der Ratskammer des Strafgerichtes, einem Drei-Richter-Senat zu fällen. Nach Beendigung der Überwachung ist der Inhaber der überwachten Anlage zu informieren, Aufzeichnungen, die für die Untersuchung nicht von Bedeutung sind, sind unverzüglich zu löschen. "Zufallsfunde", also Überwachungsergebnisse, die auf strafbare Handlungen Dritter hinweisen, die nicht eigentliches Ziel der Überwachung waren, dürfen nur unter eingeschränkten Voraussetzungen (Strafdrohung mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe) verwertet werden. Die Überwachung von Telekommunikationseinrichtungen eines Medienunternehmens ist wegen des vom Gesetzgeber anerkannten Schutzes von Informanten weiteren Beschränkungen unterworfen: Die Überwachung darf nicht angeordnet werden, wenn sie nicht der Aufklärung einer mit zumindest 5-jähriger und mehr als zehnjähriger Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung dienen soll. Die Strafprozeßordnung definiert nach den im Gutachten festgehaltenen Ergebnissen aber nicht, worin denn eigentlich die Überwachung des Fernmeldeverkehrs besteht. Auch der von der Ratskammer im Einzelfall zu erlassende Beschluß ermächtigt die Sicherheitsbehörden lediglich zur Durchführung der Überwachung, gibt aber keinerlei Vorgaben, welche Art von Informationen gesammelt werden sollen. Dies – so die Gutachter – verpflichtet die Überwachungsbehörden im Ergebnis, alle nur technisch möglichen Daten des überwachten Anschlusses und der Anschlüsse, die mit dieser Anlage in Kontakt getreten sind, zu sammeln. Die im ENFOPOL-Papier festgehaltenen Anforderungen definieren umfassend das Ausmaß der zu sammelnden Daten. Selbst bei "geringfügigen" Anlaßfällen sind daher die Sicherheitsbehörden, die die Überwachung in der Regel durchführen, verpflichtet, sämtliche möglichen Daten zu erfassen, zu speichern und auszuwerten. Im Falle der Überwachung von Mobiltelefonen führt dies zwangsläufig dazu, daß mit der Überwachung parallel Bewegungsprofile der den Anschluß benutzenden Personen erstellt werden. Aber auch die Standorte der mit diesem Anschluß in Kontakt getretenen Endgeräte müssen erfaßt und gespeichert werden. Die Typen der verwendeten Geräte, die Art der üblicherweise genutzten Dienste und natürlich der Inhalt der übermittelten Kommunikation sind zu speichern. Diese und mehr Daten fallen bei der Benutzung von Mobiltelefonen in GSM-Netzen an. Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs wird so von der bloßen Gesprächsüberwachung zur umfassenden Überwachung der Person des Inhabers des Endgerätes. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, daß diese Form der Überwachung zwar die Schranken des Grundrechtes auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses auslotet, diese aber noch nicht überschreitet. Dennoch sei – so die Gutachter – durch die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation eine Beschränkung der Überwachungsmaßnahmen notwendig, um zwischen den Zielen der staatlichen Strafverfolgung und den Grundrechten des Einzelnen wieder eine ausgewogenen Balance herzustellen. Das Gutachten fordert daher eine Novellierung der Strafprozeßordnung, um bei künftigen Überwachungsmaßnahmen den Umfang der zu überwachenden Daten – ebenso wie die Überwachungsmaßnahme an sich – in ein sinnvolles Verhältnis zu dem angestrebten Ziel, also der Schwere der aufklärungsbedürftigen Tat zu stellen. Es sei ein wesentlicher Unterschied, ob eine Überwachungsmaßnahme der Aufdeckung einer kriminellen Organisation dienen solle, oder lediglich der Aufklärung eines einfachen gewerbsmäßigen Ladendiebstahles. Im letzteren Falle bleibe anzuzweifeln, ob die Erstellung von Bewegungsprofilen aller Beteiligten noch ein verhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht sei. Künftige Überwachungsbeschlüsse sollten daher nicht nur das OB, sondern auch das WIE der konkreten Überwachungsmaßnahme nach zu definierenden gesetzlichen Beschränkungen vorab beschreiben. Die Betreiber von Telekommunikationsdiensten sind nach geltendem Recht zur Mitwirkung bei konkreten Überwachungsmaßnahmen verpflichtet. Auch diese Mitwirkungsverpflichtungen kennen keine gesetzlich definierten Grenzen, sieht man von der Grenze des tatsächlich technisch Möglichen ab. Zusätzlich haben die Betreiber auf eigene Kosten die erforderliche Infrastruktur einzurichten, um den Überwachungsbehörden im Anlaßfalle den sofortigen Zugriff auf den Telekommunikationsverkehr zu ermöglichen. Hier gelangt das Gutachten zu dem Schluß, daß auch im Interesse der Mobilfunkbetreiber und deren Kunden der Umfang der Mitwirkungspflichten des Betreibers bereits im Überwachungsbeschluß festgeschrieben werden sollte. Die Verpflichtung zur Bereitstellung der erforderlichen Überwachungseinrichtungen auf eigene Kosten ist nach den Gutachtensergebnissen überdies ein verfassungsrechtlich unzulässiger Eingriff in das Grundrecht auf Eigentumsfreiheit. Insoweit der Staat an der Ermöglichung der Fernmeldeverkehrsüberwachung interessiert ist, kann er nicht das einzelne Unternehmen (und indirekt: dessen Kunden) zur Tragung der notwendigen Kosten verpflichten. Bedenklich erscheint den Gutachtern letztlich die jüngst durch eine Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes eingeführte Bestimmung, wonach Betreiber in bestimmten Fällen auch ohne richterlichen Befehl dazu verhalten werden können, Verbindungsdaten, also Informationen, wer wann ein bestimmtes Gespräch mit wem geführt hat, weiterzugeben. Dies könne einen verfassungsrechtlich unzulässigen Eingriff in das Grundrecht auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses darstellen. Rechtspolitische Forderungen: Unabhängig davon, ob ENFOPOL von der Europäischen Union als Entschließung verabschiedet wird oder nicht, sind nach Auffassung des dem Forum Mobilkommunikation vorliegenden Gutachtens dringende Anforderungen an den Gesetzgeber zu stellen. Die durch moderne Formen der digitalen Kommunikation erweiterten Möglichkeiten der Überwachung des Fernmeldeverkehrs bieten theoretisch und praktisch neben der Überwachung des eigentlichen Inhaltes der Kommunikation auch Möglichkeiten zur Erfassung digitaler Profile der überwachten Person. Diese Möglichkeiten der Überwachung bedürfen einer dringend notwendigen Anpassung der in der Strafprozeßordnung vorgesehenen Regelungen über die Anordnung der Fernmeldeverkehrsüberwachung. Durch Novellierung der StPO sollte klar gestellt werden, daß bei konkreten Überwachungsmaßnahmen nicht mehr Daten erhoben werden, als jeweils im konkreten Einzelfall zur Aufklärung einer bestimmten Straftat notwendig sind. Insbesondere sind auch Schutzmaßnahmen vor unzulässiger Datenerfassung über Dritte vorzusehen. Die Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes über die Mitwirkungspflichten der Betreiber müssen den tatsächlichen Gegebenheiten angepaßt werden, um dem Betreiber den Umfang der notwendigen – und damit zulässigen – Mitwirkungsverpflichtung erkennen zu lassen. Es könne nicht angehen, daß die Betreiber ohne Einschränkung Datenmaterial auch von nicht Betroffenen liefern müssen. Die Verpflichtung zur Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur ohne Kostenersatz und die damit verbundene Überwälzung der Kosten der Überwachungseinrichtungen auf die Kommunikationsgebühren ist grundrechtswidrig und daher abzuändern. Wien, im Oktober 1999